17.12.1998



Unsanft gestoppt

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taz

*   Unsanft gestoppt
Von Pascal Beucker und David Schraven

Gemeine Genossen: SPD-Kandidat Franz-Josef Drabig bei der Dortmunder Oberbürgermeisterwahl durchgefallen.

Günter Samtlebe hat Pech. Nun wird der 73jährige doch noch eine Zeitlang auf die Rente warten müssen. Der Krempel, der sich in den 25 Jahren seiner Dienstzeit angesammelt hatte, war schon sorgfältig in Kisten verpackt gewesen. Jetzt kann der Dortmunder Oberbürgermeister wieder auspacken. Und das alles nur wegen einer Frau.

Eigentlich hätte am vergangenen Donnerstag im Stadtrat gar nichts schiefgehen können. Die Amtsübergabe Samtlebes an seinen designierten Nachfolger Franz-Josef Drabig schien nur eine Formsache zu sein. Denn natürlich hat die SPD in Dortmund die absolute Mehrheit im Rat - wo, wenn nicht dort? Und natürlich hätte die SPD auch eine Bierflasche als Kandidaten aufstellen können, die Mehrheit stand schließlich.

Doch der SPD-Fraktionsvorsitzende Franz-Josef Drabig ist halt keine Flasche. So wurde die letzte Abstimmung des Stadtrates über einen Oberbürgermeisterkandidaten - ab dem kommenden Jahr werden die Bürger direkt über ihr Stadtoberhaupt entscheiden können - zum Desaster für die Genossen. Denn Drabig fiel durch. Ohne Gegenkandidat erhielt er in der geheimen Abstimmung nur 41 Stimmen - und 41 Gegenstimmen. Ein Ratsmitglied konnte sich nicht entscheiden und stimmte ungültig. Mindestens fünf Genossen waren ihrem Fraktionshäuptling von der Fahne gegangen. Die lange geplante Inthronisierungsfeier mit rund 1.000 Gästen sagte Drabig kurzfristig ab. Was hätte er auch feiern sollen?

Dabei hatte er doch nur freundlich und zuvorkommend sein wollen - wie es sich für einen angehenden sozialdemokratischen Oberbürgermeister gehört: "Ich dachte, die Frau sei eine Anhalterin, ich wollte sie nur zur B1 bringen." Doch die "Anhalterin", die der 43jährige Drabig vor zwei Wochen abends im Dunklen zusteigen ließ, war eine Prostituierte. "Ich wußte sofort, das ist ein Freier", erzählte die 33jährige Drogenhabhängige später. Auch der Ort, an dem der SPD-Kandidat seine Straßenbekanntschaft auflas, hatte es in sich: die Bornstraße, der stadtbekannte Straßenstrich. Die Gegend ist Drabig bekannt: Sperrbezirk - den hatte er selbst im Rat durchgepaukt.

Das Pech des barmherzigen Samariters: Kurz vor den Westfalenhalle wurde er unsanft von einer Polizeistreife gestoppt. Die zwei Beamten waren illegaler Prostitution auf der Spur - bei Drabig wurden sie fündig. Peinlich für den Politiker. "Nicht sehr oft, aber ab und zu" nehme er Anhalterinnen oder Anhalter mit, erklärte der Erwischte. Schließlich sei er früher selber häufiger auf diese Weise unterwegs gewesen. Daß er diesmal eine Prostituierte kutschiert hatte, sei ihm nicht aufgefallen, bis er von der Polizei angehalten wurde.

Bislang hing Drabig eher das Image eines Law-and-Order-Politikers an. So beklagte er immer wieder die mangelnde Polizeipräsenz in der Stadt. Im vergangenen Jahr hatte er den Aufbau der "Dortmunder Dienste" gefördert. Sozialhilfeempfänger patrouillieren seitdem in städtischer Uniform auf den Straßen. Ihre Aufgabe: Sie sollen unliebsame Elemente aus der Innenstadt verdrängen. Für Kritiker wie den Kölner Dozenten an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Udo Behrendes, ist das der Versuch "heile Einkaufswelten" zu schaffen. Drabig ist ein Freund klarer Worte: Dortmunder Bürger türkischer Herkunft bezeichnete er auch schon mal im Rat als "Immobilienhaie" und "Geldwäscher". Seine Unterstützung fand hingegen der fragwürdige Umbau des Horten-Gebäudes in das Westfalenforum - ein Prestigeobjekt, das vor allem aufgrund seiner städtebaulichen Ausmaße und "Knast-Optik" umstritten ist.

Auch in der Stadtverwaltung hat der SPD-Fraktionsvorsitzende nicht nur Freunde. "Der Mann läßt die Leute strammstehen", sagt ein Mitarbeiter, der nicht namentlich genannt werden möchte. "Wer nicht spurt, muß mit seiner Versetzung oder im schlimmsten Fall mit dem Rausschmiß rechnen." So hatte der sozialdemokratische Spitzenmann vor kurzem noch gefordert, einen Mitarbeiter der Bauverwaltung zu entlassen, weil der kritisiert hatte, der bislang größte Dortmunder Imagebau, das riesige Einkaufszentrum "Ufo" über dem Hauptbahnhof, sei unwirtschaftlich.

Daß Drabig nun ausgerechnet seine Erkundungstour des Dortmunder Nachtlebens zum Verhängnis geworden ist, dürfte nicht allein auf "moralische Bedenken" einiger seiner Fraktionskollegen zurückzuführen sein. Offensichtlich nutzten sie die Gelegenheit, ihrem autoritären Fraktionsboß eins auszuwischen. So sagte Drabig denn auch bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach der Schlappe am Montag dieser Woche verbittert: "Ich bin den fünf Fraktionsmitgliedern nicht gram, weil sie mich nicht gewählt haben, sondern weil sie sich nicht geäußert haben, warum sie mich nicht wählen können."

Franz-Josef Drabig denkt trotz der Niederlage im Rat nicht ans Aufgeben. Seinen Posten als Fraktionsvorsitzender will er behalten, gab er am Montag bekannt. Rückendeckung erhält er dabei vom vorerst weiter amtierenden Oberbürgermeister Samtlebe und seinem Partei-Chef Bernhard Rapkay. Dem Fraktionsvorsitzenden sei zu danken, daß er nicht zurücktrete, so Rapkay: "Es gehört Mut dazu."

Ob der Clinton von Dortmund trotz seiner Stadtratsblamage bei den Oberbürgermeisterwahlen im nächsten Jahr für die SPD antreten wird, will Drabig nicht ausschließen. Wie könnte er auch: Schließlich hat er sich die Möbel zum Preis von 80.000 Mark für sein erstrebtes Stadtchefbüro schon liefern lassen.


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