14.05.2012 |
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Die Sache mit der „Alternativlosigkeit“ |
Von Pascal Beucker und Tom Strohschneider |
Dass es schlimm werden wird, hatten sie
alle geahnt. Dass es so schlimm werden würde, dann doch nicht. Und
was darauf bei der Linkspartei folgt? Die Führungsdebatte.
Um
kurz nach 21 Uhr kehrt
Katharina Schwabedissen von den
Interview-Runden im Landtag noch einmal zurück zur Wahlparty ins
„freiligrath“. „Wir machen weiter, jetzt erst recht“, ruft die
Spitzenkandidatin der nordrhein-westfälischen Linkspartei aus. Die
etwa 30 Parteifreunde, die vor und in der Düsseldorfer Szene-Kneipe
bis jetzt ausgeharrt haben, klatschen Beifall. Dann stimmen sie
trotzig die erste Strophe der Internationale an. „Nur gut, dass sie
nicht die dritte Strophe singen“, bemerkt eine Linksparteilerin
lakonisch. Deren Anfang lautet bekanntlich: „In Stadt und Land, ihr
Arbeitsleute, wir sind die stärkste der Partei'n.“ Nichts wäre
unpassender an diesem Abend.
Dass es schlimm werden wird, hatten sie schon
geahnt. Dass es so schlimm werden würde, dann doch nicht. 2,5
Prozent holte die Linkspartei. „Es ist ein enttäuschendes Ergebnis“,
sagt Landessprecherin Schwabedissen. „Wir haben mit mehr gerechnet.“
Tatsächlich ist es ein totales Desaster. Entsprechend groß ist das
Entsetzen, als kurz nach 18 Uhr die ersten Hochrechnungen über die
Leinwand flimmern. Schwabedissen und Wolfgang Zimmermann umarmen
sich lange. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Nachdem er die ersten Tendenzen aus den
Wahllokalen hörte, hatte sich der schwer erkrankte bisherige
Linksfraktionschef im Landtag am Nachmittag kurzfristig
entschlossen, ins Nahe seiner Wohnung gelegene „freiligrath“ zu
kommen. „Wir gewinnen gemeinsam und wir verlieren gemeinsam“, sagt
er. Es ist ein enormer Kraftakt für den von seiner
Lungenkrebsoperation sichtlich geschwächten Zimmermann. Sein
Auftritt bewegt. Der Applaus ist riesig, als seine Genossen ihn
erblicken. Einige haben Tränen in den Augen. Für einen kurzen
hochemotionalen Augenblick scheint das Wahldebakel vergessen. Lange
kann Zimmermann nicht bleiben. Gemeinsam mit dem besonnenen Gewerkschafter
überführte Schwabedissen 2007 den nordrhein-westfälischen
Landesverband Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit
(WASG) in die Linkspartei. Mit den beiden an der Parteispitze gelang
2010 mit 5,6 Prozent der Landtagseinzug. Jetzt stehen sie vor einem
Scherbenhaufen. Denn die Linkspartei ist wieder dort angekommen, wo
sie vor der Fusion stand: im außerparlamentarischen Nirwana. Es
sieht sogar noch schlechter aus. Bei der Landtagswahl 2005
erreichten die WASG 2,2 Prozent und die PDS 0,9 Prozent. Zusammen
gezählt holten die seinerzeit noch getrennt kandidierenden Parteien
254.977 Stimmen. Jetzt sind nur noch 194.539 Stimmen übrig
geblieben.
Politikverdrossenheit reicht als Begründung nicht aus Die Landtagswahl 2005 war das Startsignal für die
Entstehung der Linkspartei. Das jetzige Ergebnis illustriert
hingegen das Scheitern des Versuchs, eine bundesweit
ausstrahlungskräftige Partei links der SPD parlamentarisch zu
etablieren. „Es war ein eindeutiges Wählervotum: Die Linke soll
außerparlamentarische Arbeit machen“, übt sich Schwabedissen in
Galgenhumor. „Es herrscht Politikverdrossenheit“,
glaubt die gelernte Krankenschwester. „Die Menschen gehen nicht mehr
wählen.“ Doch das reicht zur Begründung der Niederlage nicht aus.
Denn an das Nichtwählerlager verlor die Partei nur etwa 20.000
Stimmen, deutlich weniger als an die Grünen. Die Linkspartei hatte
also kein signifikantes Mobilisierungsproblem. Die Wählerwanderung
zeigt: Mit Ausnahme der CDU verlor die Linkspartei in alle
Richtungen, sogar rund 10.000 Stimmen an die FDP. Den größten
Aderlass gab es jedoch zu Gunsten der Piraten (80.000) und der SPD
(90.000). Das bedeutet, dass die Linkspartei einerseits massiv
Stimmen von Protestwählern verloren hat, die sich diesmal besser bei
den Piraten aufgehoben fühlten. Andererseits wandten sich
in einem großen Maße jene Wähler
ab, die sich beim letzten Mal noch aus
Enttäuschung von der Agenda- und Hatz-IV-Politik der SPD für die
Linkspartei entschieden hatten. SPD-Ministerpräsidentin Hannelore
Kraft hat sie wieder einfangen können. „Wir haben Rot-Grün zu einer
sozialeren Politik getrieben“, sagt Schwabedissen. „Doch unsere
Erfolge haben die Wählerinnen und Wählern SPD und Grünen
zugerechnet.“ Die Linkspartei hätte mehr Öffentlichkeitsarbeit machen und
sich besser vor Ort verankern müssen.
Berliner Frontleute unbeliebt Dass das alleine noch nicht gereicht hätte, weiß
auch Schwabedissen. „Natürlich müssen wir jetzt in der Gesamtpartei
darüber reden, was schiefgelaufen ist“, sagt die 39-jährige
Pfarrerstochter, die als Spitzenkandidatin eine ausgesprochen gute
Figur abgegeben hat. An ihr hat das schlechte Abschneiden noch am
wenigsten gelegen. Auch auf die anderen Wahlkämpfern in NRW lässt
sie nichts kommen. Sie hätten einen „guten Wahlkampf gemacht. Das
Ergebnis ist kein NRW-Ergebnis.“ Damit dürfte sie nicht falsch
liegen. „Die Partei muss ihre Flügel- und Machtkämpfe beenden“,
fordert
Rüdiger Sagel, der bisherige Vize-Vorsitzende der
NRW-Landtagsfraktion. Sie müsse sich „thematisch verbreitern und zu
einer modernen sozialistischen Partei transformieren“. Andere in
Düsseldorf fordern einen Generationenwechsel. Keiner ist am
Wahlabend auf die Berliner Frontleute der Linkspartei gut zu
sprechen. Im Berliner Karl-Liebknecht-Haus machte am
Sonntagabend Klaus Ernst die „seit Jahren andauernde
Selbstbeschäftigung in dieser Partei und Schüsse aufs eigene Tor“
für das schlechte Abschneiden verantwortlich. „Es lag meines
Erachtens nicht an den Themen, die Themen waren richtig gesetzt“,
erklärte der Linksparteichef. Angesicht der fortwährenden
Selbstbeschäftigung glaubten die Bürger aber nicht mehr, dass die
Partei auch Probleme lösen könne. „Das ist unser Hauptproblem.“ Die Hamburgische Bürgerschaftsabgeordnete Kersten
Artus nannte solche „Erklärungsversuche wenig hilfreich“. Die
Linkspartei stecke nicht wegen einer Personaldebatte in
Schwierigkeiten, sondern wegen der europaweiten Finanzkrise. Die
Menschen stünden „dem umfassenden und schnellen Wandel hilflos und
verstört gegenüber“, die Medien präsentierten „Köpfe als
Heilsbringer“. Wer für was steht, bliebe jedoch „weitgehend unklar“.
Artus erklärt sich so auch den Erfolg der Piraten, der zeige, „dass
der Protest der Menschen ein Ventil sucht“.
Innerparteiliche Erpressungsmanöver
Noch
in der Nacht kam dann Bewegung in die Personaldebatte. Vor allem im
Osten wurde Kritik an Oskar Lafontaine laut – der trage durch sein
langes Schweigen zu seinen eigenen Ambitionen eine Mitschuld am
Düsseldorfer Fiasko. Nach Informationen der ARD soll sich der
Saarländer inzwischen bereit erklärt haben, wieder an die Spitze der
Linkspartei zurückzukehren – seine Bereitschaft allerdings an
Bedingungen knüpfen. Zuvor hatte bereits der Spiegel berichtet,
Lafontaine wolle sein eigenes Personaltableau diktieren und seine
Kandidatur von der Zustimmung zu seinen Vorschlägen abhängig machen. „Wir sind nicht in einer
Tarifverhandlung“, wies der Berliner Landesvorsitzende Klaus Lederer
ein solches Ansinnen im Tagesspiegel zurück.
„Innerparteiliche Erpressungsmanöver sind das Letzte, was wir jetzt
gebrauchen können.“ Allerdings sind es derzeit ohnehin nicht mehr
als Gerüchte, dass Lafontaine wirklich noch mal an die Parteispitze
strebt. Manches spricht auch dafür, dass der 68-jährige
Saar-Napoleon genau deswegen so lange geschwiegen hat, weil er den
Bundesvorsitz nicht übernehmen will. Am Montag treffen sich die Landesvorsitzenden der
Linkspartei, um über das künftige Personal zu reden. Danach sprach
sich Klaus Ernst für eine Rückkehr von Lafontaine an die
Parteispitze aus. Am Dienstag ist eine Runde mit dem
geschäftsführenden Vorstand geplant. Zwei von mehreren geplanten
Regionalkonferenzen, auf denen die Basis Gelegenheit haben sollte,
vor dem Göttinger Parteitag im Juni zu debattieren, wurden
inzwischen abgesagt. Ob die Linkspartei in den nächsten drei Wochen
eine gemeinsame Antwort auf ihre Führungsfrage findet, ist weiter
offen – es geht um mehr als Posten, es geht auch um den Kurs der
Partei und um deren bundespolitische Existenz. Zumindest bei diesem Thema scheint es unter Spitzenlinken keine Differenzen zu geben. Fraktionsvize Sahra Wagenknecht sagte, „alle, die jetzt anfangen, das Totenglöckchen der Linken zu läuten“, würden sich zu früh freuen. Und ihr Kollege Dietmar Bartsch unterstrich, eine gesamtdeutsche Linke sei „alternativlos“. Er sei sich sicher, dass die Partei in Göttingen einen „einen neuen Aufbruch“ schaffen werde. Die Niederlage an Rhein und Ruhr, heißt es auf dem Reformerflügel, „ist für uns alle bitter“. Es komme jetzt darauf an, „dass unsere Partei zusammen rückt“. Man wolle dabei helfen, „die tiefe Kraft und die große Kompetenz“ der Linkspartei zu bewahren. |
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